Überschwemmungen – Ursachen, Folgen und Managementansätze: Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung

anlässlich der verheerenden Überschwemmungen in den letzten Wochen in Südost-Österreich, Slowenien und Kroatien, die Zerstörung, Not und Leid verursachten und sogar Todesopfer forderten.

Krems, 21. August 2023

National Hub Biodiversität und Wasser – BiodiWa: unterstützt die Vernetzung und Zusammenarbeit der Wissenschaftler/innen aus den Bereichen Wasser und Biodiversität mit relevanten Sektoren unter anderem aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für eine gemeinsame Problembewältigung.

Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung folgender Expert/innen des National Hubs BiodiWa: Florian Borgwardt (BOKU Wien), Thomas Hein (BOKU Wien), Robert Konecny (UBA Wien), Roland Psenner (Eurac Bozen), Gabriele Weigelhofer (WasserCluster Lunz); Helmut Habersack (BOKU Wien), Günther Unfer (BOKU Wien)

Hochwasser und Überschwemmungen sind Ereignisse, die immer öfter und in zunehmender Intensität Schäden für die Gesellschaft und Umwelt verursachen: Gebäude und Infrastruktur werden zerstört, landwirtschaftliche Flächen geschädigt und sogar der Verlust von Menschenleben, aber auch Tieren ist zunehmend zu beklagen. Darüber hinaus belasten soziale und psychische Folgeprobleme von Hochwasserkatastrophen betroffene Gemeinden. Auch die Verschmutzung von Trinkwasser und die dadurch einhergehende Ausbreitung von Krankheiten ist eine gewichtige gesellschaftliche Folge von Überschwemmungen, insbesondere auf einer globalen Skala.

Hochwasserereignisse sind aber grundsätzlich Bestandteil der natürlichen Prozesse intakter Gewässer-Ökosysteme. In natürlichen Flusssystemen erfolgt einmal pro Jahr oder alle zwei Jahre eine Ausuferung. Wird den Flüssen und Feuchtlebensräumen ausreichend Raum gegeben, nehmen Moore und Feuchtwiesen sowie Fluss begleitende Auenlandschaften das Wasser schwammartig auf und geben es kontinuierlich, auch in trockeneren Zeiten, wieder ab. Diese Prozesse sind Teil eines intakten Wasserkreislaufes. Lebewesen haben sich an diese dynamischen Veränderungen angepasst: die Biodiversität der Arten profitiert von der Vielfalt der Lebensräume, die von der Hochwasserdynamik abhängig ist.

Wenn es genug Platz für das Ausufern des Wassers auf an Flüsse angrenzende Flächen gibt und die Landschaft das Wasser zurückhalten kann, strömen Hochwasserwellen deutlich flacher und vor allem langsamer ab und extreme Hochwasserspitzen reduzieren sich. Ein tiefgreifendes Verständnis dieser Prozesse ist von entscheidender Bedeutung, um angemessene Schutz- und Präventionsstrategien zu entwickeln. Die Expertise in dieser wissenschaftlichen Disziplin ist in Österreich jedenfalls vorhanden, die Fachleute werden aber allzu oft nicht oder nur unzureichend von Politik und Gesellschaft gehört.

Die Ursachen für Überschwemmungskatastrophen sind vielfältig, sie werden zwar immer von meteorologischen Faktoren (Klima, Wetterlagen) ausgelöst, jedoch vielfach durch menschliches Zutun befeuert.

  • Hochwasser entsteht prinzipiell durch anhaltend starke und flächendeckende oder sehr starke lokale Niederschläge. Besonders im Frühjahr ist das schnelle Abschmelzen von Schnee in den Bergen, oft durch intensiven Regen bis in hohe Lagen verstärkt, typische Ursache für Hochwasser in unseren Breiten. Im Alpenraum verursacht die Klimakrise nunmehr, angetrieben durch die Erhitzung des Mittelmeers, veränderte Niederschlagsmuster, die zu Starkregenereignissen führen können, wie in den letzten Wochen geschehen, und hat somit einen erheblichen Einfluss auf das Auftreten von Hochwasser und Überschwemmungen. Besonders intensive Extremwetter- und Niederschlagsereignisse, wie regional auftretende starke Regenfälle im Hochsommer, werden immer häufiger.
  • Durch die Versiegelung von Flächen kann Niederschlagswasser nicht mehr vom Boden aufgenommen werden und ausreichend versickern. Großflächige Abholzungen sowie unsachgemäße landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung verringern das natürliche Wasser-Rückhaltevermögen des Bodens ebenfalls und trocknen ihn aus. Wasser kann nicht so rasch in tiefe Bodenschichten eindringen, dies führt zu einem schnelleren Abfließen und trägt so zu potenziell katastrophalen Überflutungen vor allem entlang der Unterläufe von Flüssen bei. Bodenerosion findet statt und die Gefahr von Muren ist gegeben.
  • Gewässerregulierungen wie Flussbegradigungen und Dämme verkürzen Fließgewässer, reduzieren die Breite von Fluss und Aue sowie deren Verbindung zueinander, und verursachen so besonders rasche und hohe Pegelanstiege in flussabwärts gelegenen Gebieten. Dort wird die Aufnahmekapazität der Gerinne überschritten und es kommt zu Überflutungen und entsprechenden Schäden.
  • Die Bebauung von Flächen, die von Natur aus überschwemmungsgefährdet sind, also das Exponieren des Menschen und seiner Güter gegenüber Hochwasser, erhöht das Schadensausmaß zusätzlich. Derzeit werden in Österreich pro Tag ca. 12 ha Land zugebaut, im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie würde dieser Wert bei circa 2,5 ha pro Tag liegen. Ein großer Anteil dieser Flächen liegt entlang der Flüsse, sodass im Lauf der Zeit eine Erhöhung und Beschleunigung der Hochwasserwelle auftritt. Die Verbauung führt aber auch zur Degradierung von natürlichen Wasserspeichern wie Feuchtgebieten, die natürlicherweise in solchen Überschwemmungsgebieten zu finden sind.

Hochwasserrisiko entsteht also durch die Kombination von Gefahr durch Wasser und eintretendem Schaden. Das bedeutet, dass es ohne Schaden, das heißt, das Exponieren des Menschen und seiner Güter gegenüber Hochwasser, auch kein Hochwasserrisiko gibt. Generell wird das Hochwasserrisiko deutlich erhöht. Einerseits steigt die Gefahr durch Wasser als Folge des Klimawandels und der Landnutzungsänderung, andererseits werden in Überflutungsflächen immer mehr hochwertige Güter durch Gebäude etc. angesammelt.

Um einen ganzheitlichen Ansatz zur Bewältigung der Probleme in Zusammenhang mit Hochwasser zu entwickeln, müssen alle oben genannten Faktoren identifiziert und gemeinsam betrachtet werden, denn die daraus abzuleitenden Lösungsansätze und die Entwicklung von Präventionsstrategien sind ebenso vielfältig wie die Probleme selbst.

  • Ein dringend notwendiger Schritt ist jedenfalls die massive Ausweitung so genannter passiver Hochwasserschutzmaßnahmen, die das Konzept der Natur-basierten Lösungen aufgreifen. Der drastischen Reduktion von Überschwemmungsgebieten muss mit der Wiederherstellung gesunder Fluss-Ökosysteme entgegengewirkt werden. Feuchtgebiete und Flussauen müssen reaktiviert und – wo noch vorhanden – streng vor weiterer Verbauung geschützt werden. Ein Argument mehr, um die möglichst rasche Implementierung des europäischen Renaturierungsgesetzes, dem „Nature Restoration Law“, einzufordern und die EU‑Wasserrahmenrichtlinie konsequent umzusetzen. Wird den Gewässern ausreichend Raum zur Verfügung gestellt, kann Wasser auf natürliche Weise gespeichert und entsprechend verlangsamt sicher abgeführt werden.

Natürliche Gewässer-Ökosysteme mit hoher Biodiversität wirken sich obendrein positiv auf unser Klima aus, weil sie Kohlenstoff speichern und den Wasserhaushalt regulieren. Eine intakte Natur dient nicht nur den Tier- und Pflanzenarten, sondern vor allem auch dem Wohlergehen der Menschen. Natur-basierte Lösungen zum Hochwasserschutz haben oftmals auch einen positiven Effekt hinsichtlich der Abschwächung von Dürreereignissen, die das andere Ende hydrologischer Extremereignisse widerspiegeln und auch durch den Klimawandel begünstigt werden.

  • Durch ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen kann die Erderhitzung gebremst werden, womit auch die Häufigkeit des Auftretens von Extremwetterereignissen reduziert wird. Eine sofortige Reduzierung von Treibhausgasemissionen ist notwendig, um den Klimawandel einzudämmen und damit verbundene Risiken von Überschwemmungen zu mindern. Zielführende Schritte sind hinreichend bekannt, müssen aber von der Politik dringend in Umsetzung gebracht werden.
  • Raumplanung muss nachhaltig gedacht und Zuständigkeiten überdacht werden. Bestehende Überflutungsflächen müssen erhalten und abgetrennte Überflutungsflächen – wo möglich – wieder angebunden werden. Gefährdete und für die Hochwassersicherheit relevante Gebiete dürfen nicht weiter verbaut werden. Diese Risikovermeidung bzw. Risikoreduktion ist ein wesentliches Anliegen der Raumordnung und muss als solche deklariert werden, wie dies zum Beispiel auch die ÖROK-Empfehlung zum Hochwasserrisikomanagement vorsieht (siehe https://www.oerok.gv.at/). Der Versiegelung und „Zubetonierung“ unserer Lebensgrundlage Boden muss Einhalt geboten werden. Unnötig verbaute Flächen müssen entsiegelt, renaturiert und intakte Ökosysteme wiederhergestellt werden.
  • Zu den kurzfristigen, rasch wirksamen Maßnahmen zur Milderung der Hochwassergefahr können in speziellen Fällen zusätzliche Investitionen in Hochwasserschutzdämme, Deiche und der weitere Ausbau von Rückhaltebecken zählen. Diese klassischen Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes sollten aber auf den Schutz von Siedlungsräumen und wesentlicher Infrastruktur beschränkt bleiben. Flussauf- bzw. flussabwärts muss der Fokus auf Renaturierung und der Bereitstellung von Flächen für Wasserrückhalt zum passiven Hochwasserschutz gerichtet werden.
  • Außerdem können Menschen durch Investitionen in fortschrittliche Frühwarnsysteme, die auch neue Modelle der Klimaerhitzung miteinbeziehen, rascher und detaillierter über potenzielle Gefahren informiert werden und so Leben und Eigentum effektiver geschützt werden.

Schlussfolgerung: Zunehmende Überschwemmungen sind eine ernsthafte Bedrohung, und erfordern umfassende Maßnahmen. Um die Hochwasserproblematik in Zukunft besser zu entschärfen, bedarf es vor allem Natur-basierte Lösungen, die auf der Funktionsweise der Ökosysteme beruhen. Notwendig ist aber die integrative Anwendung kurz- und langfristig wirksamer, aktiver technischer und passiver Natur-basierter Hochwasserschutzmaßnahmen sowie die Renaturierung degradierter Flusslandschaften. Durch die Zusammenarbeit aller Interessensvertreter, nämlich Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Öffentlichkeit können wir den Folgen von Überschwemmungen in Zukunft deutlich effizienter entgegenwirken.

Die Vernetzungsarbeit des National Hub Biodiversität und Wasser und seine Interdisziplinarität mit notwendiger Expertise auf allen Ebenen unterstützt die Weiterentwicklung eines integrativen Hochwassermanagements. Der Hub BiodiWa sieht sich auch als Verknüpfungsglied zwischen den verschiedenen Sektoren der Verwaltung, Politik, Industrie, Gesellschaft und der Wissenschaft und hat das Ziel, die Umsetzung nachhaltiger Lösungen voranzutreiben. Durch den Zugang zu Grundlagen- und Expert/innenwissen ist BiodiWa zudem eine Plattform, die Informationen an Stakeholder und die interessierte Öffentlichkeit vermittelt. 

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