Perspektivenpapier des Österreichischen Biodiversitätsrats

Biodiversitäts- und Klimakrise mit gleicher Vehemenz bekämpfen wie COVID-19 Pandemie

Österreichischer Biodiversitätsrat, 19. Mai 2020
Artenreiches Niedermoor mit Wollgras (Foto: Franz Essl)
Im Rahmen eines Pressegesprächs am 19.Mai 2020 präsentierten Alice Vadrot, Christian Sturmbauer und Franz Essl aus dem Leitungsteam des Österreichischen Biodiversitätsrats das Perspektivenpapier.

Die COVID-19 Pandemie ist eine der größten Herausforderungen der letzten Dekaden. Sie erfordert von allen Bürgerinnen und Bürgern Einschränkungen in großem Ausmaß, gefährdet Existenzen und fördert Leid. Zurecht steht und stand das Wohl der Menschen in diesem Land im Vordergrund.

Es ist von entscheidender Wichtigkeit, die Pandemie nicht als isoliertes Problem zu sehen, sondern auch andere große gesellschaftliche Herausforderungen bei der Bewältigung der Corona-Krise miteinzubeziehen. Die sich weiterhin zuspitzende Umweltkrise aus Biodiversitätsverlust und Klimawandel wird sich auf längere Sicht zur größten Bedrohung unserer Lebensgrundlagen auswachsen und langfristige Verschlechterungen für die Menschen und den Standort Österreich bringen. Es ist daher notwendig, entschlossen eine gesellschaftliche Weiterentwicklung einzuleiten, die beiden Herausforderungen gerecht wird.

Die Natur und die von ihr erbrachten Leistungen sind die Grundlage für eine dauerhaft gute Lebensqualität aller Menschen (IPBES 2019). Die Fähigkeit unserer Ökosysteme, diese Leistungen zukünftig zu erbringen, reduziert sich jedoch stetig. Ökosysteme sind als Fließgleichgewicht stabil, sofern sich relevante Parameter innerhalb bestimmter Grenzen (Tipping points) halten. Werden diese überschritten, besteht die Gefahr einer raschen katastrophalen Veränderung, die Systeme und Artengemeinschaften als Ganzes betrifft (Trisos et al. 2020 Nature 580, 494-501).

Ein Alarmzeichen für die österreichische Umweltkrise ist der sich ungebremst verschlechternde Zustand der biologischen Vielfalt (Rote Listen Umweltbundesamt; Rote Liste Pilze Österreichs 2017, UBA 10. Umweltkontrollbericht 2013, p. 121; IPBES 2019). Auf kurz oder lang führt der Artenrückgang zu massiven Risiken für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit.

Die österreichische Bundesregierung übernimmt in ihrem Regierungsprogramm explizit Verantwortung für die Biodiversität (Regierungsprogramm, Seite 140) und plant erste wichtige Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität in Österreich (siehe Umweltausschuss 6. Mai 2020). Diese Maßnahmen müssen zum Wohle der Zukunft Österreichs auch unter der Corona-bedingten Budgetsituation ambitioniert umgesetzt werden. Zu diesen zählen:

  • Sicherstellung, dass die im Rahmen der Corona-Krise gesetzten Unterstützungs- und Fördermaßnahmen nicht den Zielen des Biodiversitäts- und Klimaschutzes widersprechen.
  • Die Erneuerung und Weiterentwicklung der nationalen Biodiversitätsstrategie („Biodiversitäts-Strategie 2030+“) sowie Aufnahme aller Sektoren.
  • Finanzierung eines Biodiversitätsfonds zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie.
  • Gemeinsame Initiative mit den Bundesländern zur Schaffung neuer und zur Erweiterung bestehender Schutzzonen jeglicher Art (inklusive Nationalparks).
  • Entwicklung von Biotop-Verbundsystemen, die Artenvielfalt ermöglichen.
  • Schaffung von Anreizen für Maßnahmen zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme.

Wir fordern die Politik auf, die Bekämpfung der Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, eine ökologische und gesellschaftliche Transformation einzuleiten. Diese Transformation bedeutet, dass neue Maßstäbe gesetzt werden und neue politische Perspektiven insbesondere in folgenden Bereichen entwickelt werden:

  • Eine neue Perspektive auf Landverbrauch und -nutzung: Die Landnutzung in Österreich muss Biodiversität nachweislich sichern und fördern, anstatt sie zu vernichten. Eine flächendeckende ökologische Infrastruktur mit mindestens 10 % Vorrangflächen für die Natur muss strategisch geplant und zügig ausgebaut werden.

  • Eine neue Perspektive auf unser Wirtschafts- und Steuersystem: Rasche und umfassende Umsetzung einer sozial-ökologischen Steuerreform mit dem Ziel, Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam und gleichrangig zu fördern. Die Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität müssen kontinuierlich abgebildet und überprüft werden. Dotierung des nationalen Biodiversitätsfonds mit 1 Milliarde Euro.

  • Eine neue Perspektive auf Bildung: Das Lehrangebot an österreichischen Schulen und Universitäten für ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Ökologie und Wirtschaft steigern. Die Biodiversitätsforschung und diesbezügliche Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen ausbauen und fördern.

  • Eine neue Perspektive auf den Wert der Natur an sich und für uns Menschen: Der ökologische Wert der Natur muss auch ökonomisch bewertet und in gesellschaftlichen Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden, damit die Folgen aus der Förderung der Biodiversität und von nachhaltigem Handeln besser sichtbar werden. Darüber hinaus hat die Biodiversität einen intrinsischen Wert, der die Umsetzung von Umweltpolitik anleiten sollte.

Die aktuelle Krise zeigt, dass die Bevölkerung bereit ist, ihr Verhalten in Anbetracht von Bedrohungen zu ändern. Zugleich zeigt die aktuelle Situation, dass Staaten und Organisationen, welche proaktiv und frühzeitig auf die Pandemie reagieren, am besten durch die Krise gehen. Eine wichtige Lehre daraus muss sein, in der Umweltkrise nicht zuzuwarten, sondern zu handeln.

Wir sind deshalb überzeugt, dass Österreich auch zur Einleitung des Transformationsprozesses hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bereit ist. Nur ein rasches zukunftstaugliches Handeln kann die gravierenden Auswirkungen der Umweltkrise verhindern, und einen sozialen Ausgleich gewährleisten. Der Wissenschaft kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu und sie sollte im Sinne evidenz-basierter Politik in die entsprechende Ausarbeitung von Maßnahmen sowie in der Prozessbegleitung eingebunden werden.

Der Österreichische Biodiversitätsrat Österreich
Der 22-köpfige unabhängige Biodiversitätsrat wurde 2019 aus dem sich im Aufbau befindlichen Netzwerk Biodiversität Österreich heraus gegründet. Das Netzwerk Biodiversität Österreich versteht sich als Open Community, interdisziplinär für die unterschiedlichsten Fachdisziplinen und transdisziplinär für Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Zivilgesellschaft. Gemeinsames Ziel ist die Stärkung der Biodiversität und deren Ökosystemleistungen in Österreich. Alle, die an diesem Ziel arbeiten, sind herzlich eingeladen, im Netzwerk mitzuwirken.
www.biodiversityaustria.at/biodivrat

Koordinationsstelle
Biodiversitäts-Hub, Donau-Universität Krems
Andrea Höltl
andrea.hoeltl@donau-uni.ac.at
+43 (0) 2732 893-2123