Ausbau von Kleinwasserkraft bringt Biodiversität stärker unter Druck

 

Österreichischer Biodiversitätsrat (ÖBDR) wirbt für Senkung des Energiebedarfs, um Gewässer in Österreich zu schützen

 

Krems, Wien (23.2.2024): Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Strombedarf nur noch aus erneuerbaren Energiequellen zu decken.  Dieses wichtige Ziel kann und muss unter Berücksichtigung weiterer Nachhaltigkeitsziele, insbesondere dem Schutz der Biodiversität, erreicht werden. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Aufruf zum Ausbau der Kleinwasserkraftwerke in Österreich würde diesen Ambitionen exakt entgegenwirken.

In einem jüngst veröffentlichten Artikel gibt die Tageszeitung „Der Standard“ dem Verein Kleinwasserkraft Österreich Raum, um einen „Hilferuf“ ertönen zu lassen (https://www.derstandard.at/story/3000000207511/seichte-zeiten-f252r-kleinwasserkraft ). Die Kleinwasserkraft bekäme zu wenig Aufmerksamkeit, wäre ein „Spielball“, geradezu ausgebremst durch „widrige Rahmenbedingungen“. Die Kleinwasserkraft, so der Artikel, sei das einzige Mittel, ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden, das Österreich auf Grund der Nichterfüllung von EU-Auflagen für die Erzeugung erneuerbarer Energien droht.

Natürlich muss Österreich alle Anstrengungen unternehmen, den Verbrauch endlicher Ressourcen zu reduzieren, weil nur so die Zukunftsfähigkeit Österreichs und die Lebensgrundlagen für Österreichs Bürger:innen gesichert werden kann. Dafür den Ausbau von Kleinwasserkraft zu forcieren, ist jedoch energiewirtschaftlich und ökologisch falsch.

Ausbau von Kleinwasserkraft ökologisch und energiewirtschaftlich falsch

Kleinwasserkraft (Wasserkraftwerke mit weniger als 10 MW Leistung) produziert einen geringen – fast vernachlässigbaren – Anteil des gesamten Aufkommens der Stromproduktion aus Wasserkraft. Laut dem Bundesministerium für Klimaschutz (..) (BMK) wurden im Jahr 2022 in Österreich 3.151 Wasserkraftwerke betrieben, 2005 waren es 2.396 [1]. Der enorme Zuwachs fand zum Großteil im Bereich der Kleinwasserkraft statt, sodass heute fast 95% der bestehenden Wasserkraftwerke der Kleinwasserkraft mit weniger als 10 MW Leistung zuzuordnen sind. Diese Kraftwerke stellen in ihrer Gesamtheit weniger als 10% der insgesamt in Österreich installierten Leistung dar und liefern weniger als 15% der jährlich produzierten Wasserkraft. Trotz ihrer enormen Anzahl ist die energiewirtschaftliche Bedeutung also marginal.

Stromproduktionskosten sind für Wasserkraft sehr variabel, die Kleinwasserkraft liegt dabei auf der teureren Seite. Wirtschaftlich wird der Betrieb meist erst durch hohe finanzielle staatliche oder EU-Subventionen. Die wahren Kosten abseits spezifischer finanzieller Förderungen lasten allerdings – gut versteckt – auf unseren Gewässern.

Die ökologischen Konsequenzen der unfassbar großen Anzahl an Kleinwasserkraftwerken in österreichischen Gewässern sind verheerend. Jede Stauhaltung von Gewässern bedeutet lokalen Lebensraumverlust und fragmentiert Fließgewässer im größeren räumlichen Maßstab: Die massiv beeinträchtigte Durchlässigkeit der Flüsse und Bäche führt dazu, dass der natürliche Wasser- und Sedimenttransport nicht stattfinden kann und Tieren wie Pflanzen wichtige Ausbreitungswege versperrt werden. Dadurch werden Populationen in Gewässerabschnitten isoliert – sie können sich nicht mehr austauschen was zu einem Verlust genetischer Vielfalt und lokalem Aussterben führt. Dieses lokale Zusammenbrechen von Artengemeinschaften ist der Hauptmechanismus des globalen Artensterbens.

Nur 6% aller österreichischen Fließgewässer sind in einem naturnahen Zustand

Mit Ausnahme einzelner in Schutzgebieten erhalten gebliebener Fließstrecken und einiger weniger ökologisch besonders wertvoller Gewässerabschnitte wird bereits jetzt jeder nutzbare Wasserlauf zur Stromerzeugung genutzt. Nur noch weniger als 6% der österreichischen Fließgewässer sind in einem annähernd naturnahen Zustand [2]. Damit begibt sich Österreich tatsächlich in Gefahr von EU-Vertragsverletzungsverfahren, die aus der Nichterfüllung von Auflagen der Wasserrahmenrichtlinie, der Fauna-Flora-Habitat Richtlinie und zukünftig des EU-Nature Restoration Laws erwächst. Und das aus ökologischer Sicht zurecht: die Roten Listen der gefährdeten Tiere Österreichs zeichnen in dieser Hinsicht ein klares Bild – wir verlieren die Biodiversität, und zwar besonders in unseren Gewässern. Beispielsweise ist der auf wenige Restvorkommen beschränkte Huchen durch weiteren Ausbau der Wasserkraft akut gefährdet. In der niederösterreichischen Thaya gibt es nach den Staumauern in Tschechien nur mehr 9 anstatt der 35 ursprünglich nachgewiesenen Fischarten. Um dem Verlust an Biodiversität und ökologischer Funktionalität zu begegnen müssen entsprechend dem Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan jetzt schon 60% unserer Flüsse renaturiert und ökologisch saniert werden [3].

„Öffentliches Interesse“ am Schutz der menschlichen Lebensgrundlage – einer intakten Natur – muss überwiegen

Entsprechend gibt es schlicht und ergreifend kein „überragendes öffentliches Interesse“, das einen weiteren Ausbau der Kleinwasserkraft auf Kosten der letzten schützenswerten Naturräume rechtfertigen kann. Ein zukunftsfähiger Weg sichert unsere Lebensgrundlagen, gebietet also dem Verlust an Lebensraum und Artenvielfalt Einhalt und stärkt unsere Fähigkeit, sich an den zunehmend unvermeidbar wirkenden Klimawandel anzupassen. Bereits jetzt werden viele kleine Bäche und Flüsse zu intermittierenden Systemen und fallen zeitweise im Sommer oder im Winter trocken. Außerdem nehmen Starkniederschläge in ihrer Häufigkeit zu. Welchen Nutzen haben Kleinwasserkraftwerke, wenn kein Wasser fließt oder zu viel Wasser kommt und zur Vorbeugung von Schäden ungenutzt durchgeschleust werden?

Im Gegensatz dazu sind eine gesunde Artenvielfalt und intakte Ökosysteme unsere Versicherung, um auch mit neuen klimatischen Randbedingungen zurechtzukommen. Die blinde Förderung erneuerbarer Energieerzeugung – also ohne Lebensraum und Artenvielfalt zu sichern – ist keine Lösungsstrategie, sondern schafft neue Probleme und erschwert gesellschaftliche Anpassungen.

Aus Sicht des Österreichischen Biodiversitätsrates kann es nur einen Weg geben: Eine maßvolle zukunftsorientierte Energiepolitik, die nicht die pekuniären Interessen einzelner im Blick hat, sondern unser schönes Österreich zu bewahren trachtet – gerade angesichts der Biodiversitätskrise und des Klimawandels. In erster Linie gilt es den Gesamtverbrauch an Energie zu reduzieren. Unsere Ressourcen sind begrenzt. Die Reduktion des Energieverbrauchs muss deshalb wesentlich höhere Priorität genießen als die Zerstörung wertvollen Naturkapitals durch neuen Kraftwerksbau—auch weil das Potenzial dazu vorhanden ist und politisch einfach genutzt werden kann. Die weitere Fragmentierung unserer Gewässer durch Wasserkraftwerke muss ausgebremst werden, um laufender und zukünftiger Renaturierung eine Chance zu geben, Artenvielfalt zu erhalten und zu fördern. Unsere Flüsse rufen diesbezüglich schon die längste Zeit um Hilfe – hier tut es der Österreichische Biodiversitätsrat für sie.

Über den Österreichischen Biodiversitätsrat

Der Österreichische Biodiversitätsrat ist die unabhängige Stimme für Biodiversität in Österreich und übernimmt dabei die Vertretung des Netzwerks Biodiversität Österreich (300 teilnehmende Personen und Organisationen). Der Rat besteht aus 24 Forscher_innen und Expert_innen der Bereiche Biodiversität, Ökologie, Landschaftsplanung, Naturschutz, ökologische Ökonomik, Agrarökonomie und Politikwissenschaften. Im Mittelpunkt der Arbeit des ÖBDR stehen die 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich.

 Weitere Informationen: www.biodiversityaustria.at/biodiversitaetsrat/ und www.biodiversityaustria.at/biodiversitaetsrat/ziele-aufgaben/kernforderungen/

Quellen:

 

[1]: https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:da4e9dfd-f51c-44b8-894c-9b049a8336cb/BMK_Energie_in_OE2023_barrierefrei.pdf

[2]: https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2020/05/Ausweisung-wertvoller-Gewaesserstrecken-in-Oesterreich-und-deren-Schutzstatus.pdf

[3]: https://info.bml.gv.at/dam/jcr:33fd41a6-2eab-4a17-8551-ce32d131bb68/NGP%202021_Endversion_gbs.pdf

Downloads:

 

Presseinfo_ÖBDR_Kleinwasserkraft_23.2.2024 [pdf]